Hinweis:
Wir sprechen im Folgenden über Queerfeindlichkeit, Sexismus, (häusliche) Gewalt, Zwangssterilisation und nationalsozialistische Ideologie. Diese Themen können sehr belastend sein.
Auf Instagram wurden wir gefragt, wie im Dritten Reich mit BDSM und Kink umgegangen wurde. Darauf haben wir keine endgültige Antwort. Stattdessen haben wir uns dem Thema angenähert. Bitte beachtet, dass es sich hier auch um Vermutungen handelt, die wir basierend auf unseren Rechercheergebnissen anstellen.
Sex war auf der einen Seite etwas, das bevorzugt hinter verschlossene Türen gehörte. Diskretion war hier das Schlüsselwort. Auf der anderen Seite wurde er aber auch gefeiert und Männer waren durchaus dazu angehalten und motiviert, ein “ausgeglichenes” Sexualleben zu haben. Dabei war es oft geduldet, dass sich ein verheirateter Mann Geliebte nahm und auch das Alter dieser Geliebten wurde nicht so genau berücksichtigt.
Die Nazis waren der pragmatischen Ansicht, dass uneheliche Kinder (spezifisch Söhne) immer noch besser waren als keine Kinder, wenn man vorhatte, einen Krieg zu führen oder den Erhalt der “arischen Rasse” zu sichern.
Zu diesem Zweck entstanden auf Himmlers Betreiben die so genannten Lebensborn-Häuser, in denen (unverheiratete) Frauen, die ihre “Rassenreinheit” und die des Kindesvaters nachgewiesen hatten, ihre Kinder austragen und in erster Zeit auch betreuen konnten.
Auch Orgien waren in diesem Zusammenhang durchaus akzeptiert.
Darüber hinaus wurde an vielen Stellen nicht allzu genau auf die Einhaltung der entsprechenden Gesetzgebungen geachtet. Offiziell war es zwar verboten, mit Kondomen zu verhüten, bekommen (und verbraucht) hat man sie aber trotzdem umfassend.
Wer als cis-het Mann “arischer Natur” also dafür sorgte, sein Sperma unter die (“angemessenen”) Leute zu bringen und es verstand, über gewisse Details zu schweigen, hat sicherlich seine Vorlieben ausleben können, ohne große Konsequenzen zu fürchten, da er damit ja vorwiegend dem Erhalt der Rasse diente.
Zugleich waren die Nazis sehr darauf bedacht, eine “normale” Gesellschaft zu haben. Wer sich auf irgendeine Weise außerhalb dieser Norm bewegte, musste vorsichtig sein.
Konkrete Vorgehensweisen oder Strafverfahren habe ich nicht gefunden. Allerdings war es jeder Person möglich, eine andere Person wegen “unnormalen” oder “asozialen” Verhaltens zu denunzieren. Das bedeutete nicht zwingend, dass man wegen des beschuldigten Verhaltens selbst mit Konsequenzen rechnen musste, aber es führte dazu, dass man verhaftet und überprüft werden konnte. Sollten sich bei dieser Überprüfung Gründe finden lassen, warum man kein wertvolles Mitglied der Gesellschaft war (was meist wohl nicht schwer war, immerhin war man bereits durch die Denunzierung verdächtig), so drohte längere Haft oder KZ.
Dabei war die Kennzeichnung “asozial” (schwarzer Winkel) eher vage ausgelegt und konnte so auf beliebige Personen(gruppen) angewendet werden. Zu Beginn wurde es vorwiegend für mittellose Menschen oder “Arbeitsunwillige” verwendet. Später weitete sich das Feld auch auf Personen mit besonderem, “gesellschaftsschädigendem” Verhalten (Erregung öffentlichen Ärgernisses), Prostituierte oder anders unbequeme Menschen aus.
Lesben wurden übrigens auch eher mit dem schwarzen als mit dem rosa Winkel gekennzeichnet, weil sie zumeist nicht wegen ihrer Sexualität verhaftet wurden, sondern wegen etwas anderem, wie Erregung öffentlichen Ärgernisses. Das macht ihre Nachverfolgung heute besonders schwierig.
Die Nazis waren sehr fokussiert auf eine Gesellschaft mit “reinem” Genpool. So wurden viele Menschen, bei denen man vermutete, dass ihre (“negativen”) Verhaltensmuster genetisch sein könnten (zum Beispiel Verbrecher, die mehrfach für das gleiche Vergehen verhaftet worden waren) zwangssterilisiert. Auch hier musste es natürlich keine Beweise für eine genetische Veranlagung geben.
Wenn es um sexuell “unnatürliches” Verhalten ging (also zum Beispiel der Verdacht auf Homosexualität bestand) mussten die Verdächtigen Sex vor den Beurteilenden haben, um nachzuweisen, dass sie “normal” sind.
Daraus schließe ich:
Als Cis-Hetero Mann, der Gefallen an Frauen hat und im besten Falle noch über Geld oder Einfluss verfügte (und natürlich die richtige Religion hatte) kam man vermutlich mit vielem davon. Frauen waren immerhin dazu da, schwanger und zur Not auch gezüchtigt zu werden.
Außerhalb dieser Kreise hatten Kinks, die nicht sehr diskret waren, mit Denunzierung zu rechnen, wenn sie jemand für gesellschaftlich nicht “normal” befand. Wenn sie dann auf Grund ihres Verhaltens und durch Ergebnisse im Verhör als “abartig” eingestuft wurden, war zumindest die Sterilisation oder Haft sicher zu befürchten. KZ war auch eine solide Möglichkeit. Je nach Ergebnis des Verhörs war aber sicher auch eine Anstalt denkbar.
Um valide / konkrete Informationen zu erhalten, wäre es vermutlich gut, sich mit Gerichtsurteilen zu befassen. Es gibt auch einige Bücher, die mir bei der Recherche ins Auge gefallen sind, aber ich war für einen ersten Eindruck jetzt nicht gewillt direkt Geld auszugeben.
Über die Geschichte des BDSM habe ich in dem Zusammenhang auch gesucht. (Und einen Haufen BDSM-Geschichten angeboten bekommen). Die meisten Zeitleisten / Berichte, die ich hier über den deutschen Raum gefunden habe, enden in den 20ern und beginnen anschließend wieder nach dem Krieg.
Quellen:
https://www.geschichteimpuls.ch/artikel/sex-als-zwangsarbeithttps://arolsen-archives.org/ueber-uns/standpunkte/lebenslang-stigmatisiert/
Wir sind ein ehrenamtliches Team aus queeren (LGBTQIA+) Menschen, welches queere Perspektiven sichtbar machen und Vielfalt in Schulen zeigen möchte.