Mein gesamtes Leben lang wurde mir gesagt, ich sei ein Mädchen.
In meiner Geburtsurkunde steht es so. Ein kleines Kind mit dem Körper, den die Gesellschaft von einem Mädchen erwartet, erstgeborene Tochter meiner Eltern.
Mein Eintrag beim Standesamt und mein Körper waren alles, was mein Umfeld jemals brauchte, um mich ganz klar einzuordnen. Damit ich an Weihnachten Puppen geschenkt bekam, meine Mutter mir die Haare flocht und ich in Kleid und Strumpfhosen durch die Gegend lief. Damit mir von klein auf beigebracht wurde, was ich alles nicht kann oder nicht darf, einfach nur, weil ich ein Mädchen bin.
Mein Konzept von Geschlecht zu ver- und ein neues zu lernen, war nicht schwierig. Zu dem Zeitpunkt, als mir Begriffe wie trans* oder nichtbinär zugetragen wurden, war ich bereits überzeugt davon, dass die traditionellen Geschlechterrollen Bullshit seien. Ich habe nicht einen Moment darüber nachgedacht, trans* oder inter* Personen ihre Validität abzuerkennen.
Und dann passte plötzlich ich nicht mehr in die mir anerzogenen Kategorien.
Meine Periode blieb aus und meine Frauenärztin diagnostizierte mich mit polyzystischem Ovarialsyndrom, auch bekannt als PCOS. Im Diagnosegespräch redete sie sanft auf mich ein.
Machen Sie sich keine Sorgen.
Sie können noch Kinder bekommen, es könnte nur schwieriger sein. Ich kenne viele Frauen mit PCOS, die später noch vier oder fünf Kinder bekommen haben.
Nicht ein einziges Mal ging sie darauf ein, dass ich ihr klar und deutlich gesagt hatte, dass ich keine Kinder will. Meine Ängste rund um ein Diabetesrisiko, eine Veränderung meines Lebensstils etc. waren für sie nichtig im Angesicht des Ziels, das alle Personen mit Vulva und Gebärmutter vor Augen haben sollen: Reproduktion.
Ich ging an diesem Tag zitternd aus der Praxis, ob vor Wut oder Trauer, weiß ich nicht. Sie wollte mich in sechs Monaten noch einmal sehen. Ich ging nie wieder zurück.
Google sagt, dass niemand weiß, wo PCOS herkommt. Vielleicht ist es genetisch. Aber so wirklich hat das keiner herausgefunden und es wirkt auch nicht so, als gäbe es da Bemühungen. Schließlich betrifft es nur Personen mit Vulva – und in einer patriarchalen Gesellschaft interessieren die keinen. Dass PCOS ungefähr 15 Prozent aller Personen mit Vulva trifft, spielt da anscheinend auch keine größere Rolle.
Monate nach meiner Diagnose drehte sich eine befreundete Person zu mir und meinte paraphrasiert etwas wie: “Wie du weißt, können sich Personen mit PCOS durchaus als inter* labeln.”
Ich wusste das nicht.
Seit diesem Gespräch befinde ich mich im Zwiespalt. Ich labele mich mittlerweile als inter*, wenn auch nur im privaten Rahmen. Nach all der Zeit, die ich mit meiner Identitätskrise rund um meine Sexualität verbracht habe, dachte ich eigentlich, ich wüsste mit Imposter Syndrome umzugehen. Doch mit dem Label “inter*” ist es sehr viel schlimmer als zum Beispiel “bisexuell” – denn inter* ist eine Diagnose.
Und ich passe ja irgendwo in die Kategorien, die für endo Frauen erstellt wurden. Mein Körper gehorcht allen Leitlinien – bis auf die, bei denen er es eben nicht tut.
Doch man sieht es mir nicht an. Aus dem kleider- und zöpfetragenden Mädchen ist eine kleider- und zöpfetragende Erwachsene geworden mit einer Obsession für alles, was rosa oder mit Blumen verziert ist. Niemand blickt auf mich und denkt sich: „Oh, diese Person passt aber nicht in die Vorstellung, die ich von einer Frau habe.”
Als endo gelesen zu werden, ist ein Privileg, das mich schützt. Ich bin dankbar dafür. In gewisser Weise verstecke ich mich auch dahinter, denn niemand außer meinen engsten Freund*innen weiß, dass ich mich selbst als inter* sehe. Ich schulde diese Information auch niemanden – da es mir niemand ansieht, ist es aber einfacher, es für mich zu behalten.
Doch muss ich sichtbar sein, damit ich valide bin? Oder nehme ich “echten” inter* Personen Raum und Stimme weg, wenn ich mich als inter* sehe? Ist die Tatsache, dass ich diesen Text für heute geschrieben habe, bereits eine Anmaßung, die mir nicht zusteht?
Die befreundete Person, die mich mit ihrer lieb gemeinten Frage in eine Identitätskrise gestürzt hat, meint, dass es mehr darum geht, ob meine Erfahrungen mit denen übereinstimmen, die inter* Personen machen. Invalidierung im medizinischen Kontext, fehlende Sichtbarkeit in der Gesellschaft und der ewig währende Kampf darum, andere davon zu überzeugen, dass der eigene Körper nicht krank ist.
Und all das erlebe ich. Ob es nun die Therapeutin ist, die auf meinem Arztbrief alle meiner queeren Labels notiert hat außer “inter*” – nachdem wir zehn Minuten darüber geredet hatten, warum ich mich so labele. Oder meine Frauenärztin oder meine Endokrinologin, die mir die Anti-Baby-Pille fast selbst den Rachen hinunter gezwungen hätten, in einem verzweifelten Versuch, mich schlanker, haarloser und weiblicher zu machen. Die Verkäuferin in dem Kiosk, die bei einer Paketabholung meinen Ergänzungsausweis nicht akzeptieren wollte und mich zwang, meinen Personalausweis mit Deadname und falschem Geschlechtseintrag vorzuzeigen. Oder die Tatsache, dass ich fast keine inter*-Personen kenne.
Ob meine negativen Erfahrungen nun mit Intergeschlechtlichkeit oder der ewigen Tragödie, eine Frau im Patriarchat zu sein, zusammenhängen, kann ich nicht sagen. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob eine solche Differenzierung hier wichtig ist. Denn ich bin inter und ich bin eine Frau und dementsprechend werde ich in der Gesellschaft immer mit Unverständnis, Gleichgültigkeit und Respektlosigkeit konfrontiert werden.
Ich würde diesen Text gerne abschließen, vielleicht mit einer Geschichte darüber, wie ich mich selbst akzeptiert und meinen Platz in der Community gefunden habe. Leider bin ich noch nicht an diesem Punkt. Vielleicht dauert es noch eine ganze Weile, bis ich dahin komme. Also lasse ich euch genau damit zurück: Mit einer Geschichte, die noch nicht zu Ende ist.
Wir sind ein ehrenamtliches Team aus queeren (LGBTQIA+) Menschen, welches queere Perspektiven sichtbar machen und Vielfalt in Schulen zeigen möchte.